Jaana Caspary
reflective exchange
14.04. - 30.06.2020 

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von Raum und Zeit
Über Jaana Casparys Skulpturen und Fotografien
Text: Christina Irrgang

„Das Interesse der Dekonstruktion, ihrer Kraft und ihres Begehrens ... besteht in einer bestimmten Erfahrung des Unmöglichen, das heißt ... des Anderen, in der Erfahrung des Anderen als Erfindung des Unmöglichen, mit anderen Worten als die einzig mögliche Erfindung.“

Ein auseinandergebrochener Objektkörper, zwei Hälften eines Ganzen, die sich im Raum als ambivalentes Gefüge gegenüber stehen: „zwei halbe“ (2014). Die Außenform erscheint wie die Haut eines überdimensionalen Bakteriums oder die Hülle einer Frucht, deren Oberfläche sich durch ausgreifende, zerklüftende Strukturen einer physischen Annäherung verschließt. Der Bruch des Körpers hingegen legt die innere Konstitution frei und zeigt ihn als zwei sich


einander öffnende Schalen, die einerseits durch die Ausstaffierung von Watte zu einem Einschmiegen im Inneren des Hohlraumes einzuladen scheinen, und zugleich doch auch ein autonomes Hervortreten des im Innenliegenden Verborgenen – doch unsichtbar bleibenden – suggerieren. Einander zugewandt, nehmen die Hälften eine dialogisch-dialektische Positionierung im Raum ein. Doch weil sich im Inneren nunmehr Verlassenheit abzeichnet oder etwas, das möglicherweise dagewesen ist, deuten die (ent)leer(t)en Hülsen auf einen symbolischen Akt der Lösung und Übereinkunft hin, die sich außerhalb des Stofflichen vollzieht.
Das Ungreifbare oder nicht konkret Fassbare des Verhältnisses von Form und Raum wird zu einer wiederkehrenden Erfahrung beim Betrachten von Jaana Casparys skulpturalen Arbeiten, die in ihrer Formfindung organisch-fantastische Körperstrukturen beschreiben, welche sich bereits anhand ihrer strukturalen und materialen Beschaffenheit durch ein „Sich-Entziehen“ zu definieren scheinen. „Thorax“ (2015) zum Beispiel setzt sich aus weißen figurinen Gebilden zusammen, die wie Glieder eines unbestimmten Organismus’ aus der Wand entwachsen – sind es die Arme einer Krake oder Fühlhaare eines Fangblattes? Oder sind es Zungen, Äste oder Pflanzen(-keime), die sich bei „Keine Ahnung wer ich bin“ (2014) als Wandrelief aus einem unzugänglichen Torbogen strecken? Die von Jaana Caspary gesetzte Geste durch diese assemblierten Körper und Formen wirkt als ein Ausgreifen in den Raum, den sie zugleich hervorbringen, beanspruchen und zu fassen suchen. Es ist, im Sinne Martin Seels, eine Organisation von Raum: um Zeit zu geben, um dem Spiel von Gestalten im Raum gewahr und in ihren Rhythmus verstrickt zu werden, um Anziehungskräfte innerhalb eines Raumes zu verändern, um ein Bewusstsein von Gegenwart zu erlangen – ja, von einer verwandelten Gegenwart. Sie gibt uns Zeit, nicht nur über die weißen Formelemente auf weißem Grund nachzudenken, sondern auch – der Titel legt es nahe – über uns selbst.
Ein solches poetisches und emotionales Betrachten schreibt sich in Plastiken wie „Eine unendliche Geschichte“ (2018) nicht zuletzt auch als eine implizite Denk- oder Handlungsaufforderung ein. Die mit Sand beschichteten Faltenwürfe eines Ovals aus Polyurethan erinnern an eine feminine Landschaft, wobei die Bruchkante des Objekts wie ein allegorischer Schneisen-Schlag durch die Wüste erscheint: Etwas, das als unendlich angelegt ist und doch immer Endlichkeit beinhalten muss? Der Schnitt durch das Objekt ist wie ein Innehalten und zugleich das Überblicken eines Spannungsfeldes – es legt den Gedanken nahe, dass die Diskontinuität menschlicher Fortschreibung eine notwendige Bedingung ist, wenn Wertesysteme sich strukturell wandeln sollen.
Jaana Casparys Skulpturen markieren so in der symbolischen Anordnung von Orten und Strukturen immer auch die Aufforderung zur Disposition. „Kulisse“ (2014) etwa – eine emporstrebende Landschaft, die sich aus schwarz schimmernder Teichfolie und weißer Farbe über einer Holzkonstruktion erhebt und entfaltet – entwickelt durch plastische Konturierung und farbliche Absprengungen ein ganzes installatives Gefüge, während die Bronze „Kleines Panorama“ (2018) die Thematik der Ausdehnung als kompakte Figur wie ein Spiegeleffekt reflektiert.
Die Wiederholbarkeit und Abwandlung von Formen, die notwendig ist für alles Voranschreiten, bildet ein wiederkehrendes Motiv in Jaana Casparys skulpturaler Arbeit, das sich in ihren Abformungen und Güssen verstärkt. Alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Kissen und Matratzen oder industriell hergestellte Formen unterzieht die Künstlerin einer materialen Dekonstruktion, aus der heraus sie ganz neue plastische Qualitäten und Figur-Gruppen entwickelt. So entstehen beispielsweise in der Reihe „ ELEMENTE“ (seit 2018) aus zuvor seriell produzierten Objekten amorphe, nahezu architektonische (Zier-)Gebilde, die zwischen Gefundenem und Erfundenem changieren. Es ist, mit Jaques Derrida gesprochen, als sei diese Abwandlung wie ein Erbe der Wahrheit – im Rahmen derer die Skulpturen von Jaana Caspary als „ein technisches Dispositiv [erscheinen], das man unter bestimmten Bedingungen und in bestimmten Grenzen re-produzieren, wiederholen, wieder-verwenden, transponieren ... überführen“ könnte.
Eine Variante des Überführens ist die Mimese, die sich konkret in Casparys fotografischen Wandobjekten abzeichnet: organisch geformte Körper, die durch sich wiederholende fotografische Reproduktionen auf ihrer Oberflächenstruktur zugleich auf ihren Referenten wie auch auf ihre eigene Abbildhaftigkeit verweisen. Die Reihe „(Wand)-Steine“ (2018) zeigt so visuelle Fragmente von Steinen, während ihr glatt polierter Polyurethan-Körper selbst die Form eines – oft überdimensionalen – Steines nachahmt. Diese Imitation tarnt das Objekt als Replik und macht zugleich im Bruch der optischen Täuschung die Dekonstruktion des Nachgeahmten offensichtlich. Es ist eine „Teleplastik“, also eine „Reproduktion im dreidimensionalen Raum mit seiner Fülle und Tiefe: eine Skulptur-Photographie ...“, wie Roger Caillois sagen würde, der sich intensiv mit Steinen, Kraken, der Nachahmung und den „diagonalen Wissenschaften“ als einem verknüpfenden Denken zwischen Mensch, Natur und Kosmos beschäftigt hat.
Die Betrachtung des Naturraumes wie auch von Räumen, die sich in Naturgegenständen gebildet haben oder die als geologische und architektonische Raumstrukturen gewachsen sind, fließt wiederkehrend in Jaana Casparys fotografische Werke ein. Sie zeigen den Aufschnitt einer Muschel, den Blick in ihr Gehäuse als Relief, die Sicht durch ein licht- und schattenverhangenes ovales Fenster, die blasenhafte Struktur von erstarrter Schlacke, wabenartige Kanten und sich auftürmende Flächen oder auch den Querschnitt in Steine und ihre geologischen Motive: Inschriften der Zeit, die uns anfunkeln und entführen.
Jaana Caspary beobachtet Korrelationen, die so auch in ihren künstlerischen Arbeiten eine transversale Verbindung zwischen Sehen, Bild, Körper, Objekt, Raum und Zeitlichkeit eingehen. Entlang der Konturen ihrer Objekte oder über die Flächen ihrer fotografischen Ein- und Ansichten entwickeln sich Panoramen und es entsteht „[e]in Prozeß ohne Anfang und Ende, der dennoch nichts anderes tut als anzufangen“ – der als eigenständiger Körper zwischen Entdeckung, Freistellung und Hervorbringung zu wirken beginnt.

Text: Christina Irrgang